der Künstler Christian Einfalt
Manche Künstler verfolgen Zeit ihres Lebens einen spezifischen Zyklus oder beschränken sich in ihrer Tätigkeit auf die Zusammenarbeit mit den immer selben Partnern. Nicht so Christian Einfalt. Mit der Präsentation zweier sehr unterschiedlicher, neuer Werkzyklen – den „black paintings“ und den „compressions“ – beschreitet der in Wien und Millstatt am See, Kärnten, lebende Künstler - viele Jahre Teil des Künstlerduos Ramacher & Einfalt - neue Wege. Christian Einfalt bezeichnet diesen Punkt in seinem Schaffen als Konklusion. Doch für den Künstler hat das Wort die Bedeutungsgrenzen der lateinischen conclusio gesprengt. Bei den neuen Arbeiten handelt es sich nicht um eine Schlussfolgerung oder einen letzten großen Wurf oder gar um einen Schlussstrich. Vielmehr bedeutet Konklusion für Christian Einfalt, am Anfang zu stehen und einen Neubeginn zu wagen und aus vielen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte die logische Konsequenz zu ziehen. Konklusion bedeutet auch Logik, Offenkundigkeit und Klarheit. Christian Einfalt hat sich selbst neu entdeckt; seine neuen Arbeiten zeugen von intensiver Beschäftigung und einem Sich-Wiederfinden in den Theorien der integralen Bewusstseinsforschung und der wiederentdeckten Lust am Objekt.
Der Mensch muss ein Bewusstsein dafür entwickeln, selbst ein Ganzes und zugleich Teil eines übergeordneten Ganzen zu sein. Um zu einem integralen Bewusstsein zu gelangen, wie es der amerikanische Philosoph Ken Wilber in seinen Schriften zur Integralen Theorie diskutiert, muss zuerst die Einsicht wachsen, dass der Mensch das Sein in allen seinen Aspekten umfasst und dass der vom Menschen erfasste Teilaspekt bzw. die Teilwahrheit der Realität durch den eigenen Bezugshorizont geprägt ist. Der von Arthur Koestler geprägte und von Ken Wilber in der integralen Bewusstseinsforschung verwendete Begriff des Holons beschreibt dieses Ganze, das wiederum selbst nur ein Teil eines übergeordneten Ganzen ist. Veranschaulicht wird diese Theorie mit der einzelnen Zelle, die sowohl Zelle als auch Teil eines Organs ist, welches wiederum sowohl Organ als auch Teil des menschlichen Körpers ist. Das Ziel unserer Bewusstseinsbildung ist es, unser Sein in all seinen Aspekten zu erkennen. Diese Einsicht wächst aus dem Wissen, dass jeder Mensch ein eigenes Bild der Realität hat, und dass erst die Summe dieser verschiedenen Realitäten das ganze Bild ergeben kann. Christian Einfalts monochrom schwarze Bilder sind gleichsam als Zitate zu den Holons, den Projektionsebenen des integralen Bewusstseins zu sehen, in denen sich die Geisteswissenschaft verdichten kann. Das Bild wird zur Hintergrundfolie, auf der sich gedankliche Konstrukte aufbauen. Die neu entstehenden gedanklichen Konstrukte nehmen in den Werken einen zentralen Raum ein und bestehen aus dreidimensional angebrachten Metallflächen und jeweils einem verbindenden linearen Drahtkonstrukt. Die Gedanken in Flächen zu gliedern, ist für Christian Einfalt ein zentrales Element dieses Werkzyklus‘. In einigen „black paintings“ ist die Beweglichkeit dieser Gedanken nochdurch kinetische Bildteile versinnbildlicht, oftmals in Form von schwingenden Pendeln.
Auf die dargestellten Personen, die diese Konstrukte im Bildraum entstehen lassen, konzentriert sich jedoch zunächst der Blick des Betrachters: Diese Einzelpersonen oder Figurengruppen, die als kunstgeschichtliche Zitate der Mythologie bzw. den Werken der alten Meister entnommen sind, demonstrieren das herausragende zeichnerische Können Christian Einfalts. Die dargestellten Figuren scheinen uns durchaus bekannt: So entdecken wir zum Beispiel einzelne Figuren aus Rubens‘ „Höllensturz der Verdammten“ oder die Szene „Schande und Verspottung des trunkenen Noah“, wie sie bereits von Michelangelo Buonarotti in der Sixtinischen Kapelle in der Schöpfungsgeschichte gemalt wurde undim 1. Buch Mose in der Genesis niedergeschrieben steht: „Und Noah fing an, ein Ackersmann zu werden und pflanzte einen Weinberg und er trank von dem Weine und wurde trunken, und er entblößte sich in seinem Zelte.“
Diese Figurengruppen erkennt der kunstsinnige Betrachter nur deshalb, weil er westlich-kunsthistorisch geprägt ist. Darin verdeutlicht sich Christian Einfalts Interesse an der integralen Bewusstseinsforschung: Er hält uns in den „black paintings“ vor Augen, wie unsere Sichtweise aufgrund unterschiedlichster Prägungen entsteht und dass wir selbst immer nur einen kleinen Teil des ganzen Bildes verstehen können. Jede Sichtweise ist stets nur eine eingeschränkte, niemand kann für sich in Anspruch nehmen, das Gesamtbild in all seinen Aspekten und Zugangsweisen zu begreifen.
Der Schaffensprozess Christian Einfalts beginnt mit der Verwendung von Erde. Hier nimmt Einfalt bewusst Bezug auf die wohl göttlichste Arbeitstechnik: Im Talmud wird Adam als „aus Schlamm geknetet“ beschrieben, in der Bibel aus Erde vom Acker erschaffen und im Koran steht geschrieben, dass Engel auf die Erde gesandt wurden, um das Material für die Entstehung des ersten Menschen zu sammeln und die Engel brachtenrote, weiße, braune und schwarze Erde. Christian Einfalt vermengt Lehm, Dreck und Erde mit Holz, Papier, Sand und Industriekleber und spachtelt die Masse auf Leinwand. Die Oberfläche der „black Paintings“ wird sodann mit Silberfarbe und Schwarz patiniert. Teilweise durchdringen goldene oder leuchtend bunte Punkte die silber-schwarz-verkrustete Oberfläche und erinnern in ihrem Schimmern an den Keimling, der sich einen Weg durch die erstarrte Realität bahnt und damit zu einem Symbol der Hoffnung und der Beständigkeit des Lebens wird. Von vielen Interpretationen, die man anhand der dunklen, mystisch verklärten Landschaften treffen könnte, ist die des hoffnungsvollen Aufbruchs wohl die zutreffendste. Christian Einfalts Arbeiten erwachsen in einer Vielschichtigkeit, die Möglichkeiten der philosophischen Betrachtung, die zugrunde liegenden Denkanstöße und Überlegungen sind mannigfaltig. Der Künstler stellt sich in seiner Werkserie „black paintings“ der Herausforderung, ein Ganzes zu schaffen, das tiefgründige Gedanken und ästhetische Formgebung untrennbar verbindet.Und wie auch Werktitel wie „Dunkelroter Rettungsversuch“ verdeutlichen, liegt den „black paintings“ immer auch die Kenntnis zugrunde, der Welt mit positiven Gedanken eine Wende geben zu können.
Genauso wie er sich in philosophischen Bewusstseinsräumen bewegt, ist Christian Einfalt jedoch auch die intuitive Arbeit nicht fremd. Als suche er den Ausgleich, ja geradezu eine Möglichkeit, sich auf die Grundprinzipien ästhetischer Wahrnehmung zurückzubesinnen, entstand parallel zu den „black paintings“ die Werkserie „compressions“, einer Reihe großformatiger, quadratischer Arbeiten, die aus der Ferne betrachtet wie Gemälde wirken, sich im Detail jedoch als dreidimensionale Arbeiten aus unterschiedlichsten Versatzstücken präsentieren.
Nicht umhin kommt man, sich – zumindest was den Umgang mit dem Ausgangsmaterial betrifft - beim Betrachten der Werkserie „compressions“ des ersten Meisters der Kompressionskunst zu entsinnen: Die aus zerbeulten, geschmolzenen, gedrehten und verformten Autoteilen bestehenden Skulpturen der Serie „Car Parts“ von John Chamberlain und jene abstrakten Cluster manipulierter Metallfässer sindästhetisch und furchteinflößend zugleich. Die Fragmente des Inbegriffs technischen Fortschritts und menschlicher Mobilität fügen sich zu Skulpturen, die Natalie Edgar mit den Attributen „uncontrolled, undesigned and different enough to give you a bang – fifty-miles-an-hour around a telephone pole“  versehen hat. Die Brutalität eines Autounfalls, das Wrack im Straßengraben, Unfall und Wirkung: Die Arbeiten Chamberlains evozieren ein mulmiges Gefühl, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie uns auf drastische Weise klar machen, dass niemand vor Sensationsgier und Schaulust gefeit ist. Mit Schweißgerät und unter großzügiger Verwendung von Farbe fertigte Chamberlain diese Metallskulpturen von raumgreifender Präsenz, deren Ironie nicht zuletzt in der aufwändigen manuellen Verarbeitung des Ausgangsmaterials liegt, jener maschinell in Serienproduktion hergestellten Automobilkorpuse, die seit Tom Ford der Inbegriff automatisiert-maschineller Produktion schlechthin sind. Nach einigen Jahren der intesiven Auseinandersetzung mit der Serie „Car Parts“ wendete sich Chamberlain Mitte der 1960er-Jahre anderen Materialien zu, um erst etwa ein Jahrzehnt später wieder auf Metallassemblagen zurückzukommen – mit raumgreifenderen, gewaltigeren Arbeiten als zuvor und einer nun strengen Differenzierung einzelner Autoteile. DieseEntwicklungrief bei Zeitgenossen Unverständnis hervor und wurde–gerade aufgrund der Selbstlimitierung auf Material gleicher Größe, Proportion und Machart - zutreffend von Karen Rosenberg als Effekt bezeichnet, dies sei Malerei mit nur einer Form des Pinselstrichs.  Etwa zeitgleich mit John Chamberlain stieß noch ein weiterer Künstler auf die Ausdruckskraft der Kompression: Überzeugt davon, dass sie das einzig angebrachte Mittel sei, um die ultimativen Denkmäler des mechanischen Zeitalters zu schaffen, bediente sich der französische Bildhauer César ebenfalls alter Auto- und Motorradteile und fertigte mithilfe einer Schrottpresse Skulpturen, die die Möglichkeit ausloteten, wie Material, Mechanik, Physik und Schöpfungskraft in Zusammenhang stehen.
Bestrebt, sich vom Diktat der –Ismen zu distanzieren, sucht Christian Einfalt bereits zu Akademiezeiten die Befreiung durch die Dreidimensionalität. Schon in den 1990er-Jahren entstehen erste surreal-realistische Assemblagen, immer mit einem Augenzwinkern, einer schwer verkennbaren kritischen Aussage, einem erhobenen Zeigefinger. In den Arbeiten spiegelt sich der Aberwitz der Menschheit, das Trachten nach gesellschaftlichem Rang, die besessene Jagd auf die beeindruckendste Trophäe. Damals wie heute sind für Christian Einfalt jedoch die zentralen Fragen die Kongruenz von Bild und Objekt, die Gliederung von Gedanken in Flächen, und, wie ein philosophischer Ansatz seinen malerischen Ausdruck finden kann.
Der Ursprung der „compressions“ findet sich in jenen Kompressionsarbeiten, die Christian Einfalt im Sommer 2013 – damals noch als Künstlerduo Ramacher & Einfalt – unter dem Titel „codex doctrina“ ausstellte. Das Zusammenspiel einer Barke, dem Transportmittel der Leichtigkeit und des Sich-Treibenlassens mit Würfeln aus Eisen und Aluminium, in denen sich das blockhaft verkrustete Denken zementiert, irritiert und bietet zugleich die humorvolle und nicht minder versöhnliche Einsicht, das blockhaft-würfelhafte, geradezu verkrustete Denken unserer Gesellschaft mit der Leichtigkeit des kreativen Potenzials aufbrechen zu können, das zementierte, festgeschriebene Gedankenkorsett zu spalten und fest verankerten Vorstellungen die ganze Dimension ihrer Nichtigkeit vor Augen zu führen.In den dreidimensionalen Arbeiten der Werkserie “compressions” schlägt Christian Einfalt geradezu eine Gegenrichtung zu Chamberlains Spätwerk ein. Im Gefüge unterschiedlichster Materialien - Kunststoffmasse, Metall, Zement, Farbe, Partikeln von Alltags- und Gebrauchsgegenständen – geht es dem Künstler um die Lust am Objekt und um die Prinzipien der reinen Malerei: Die blockhafte Dreidimensionalität hat sich in der Fläche, im Malerischen manifestiert. Form, Farbe und Struktur der Oberflächen werden zu den zentralen Elementen, zum Resultat der Suche nach dem einen, bestimmenden Element der Komposition. Der Würfel als ästhetisches Ausgangsobjekt wird in der Serie der „compressions“ zur quadratischen Fläche, hat aber nichts an Körper und Plastizität eingebüßt. Auf der Trägerplatte sind verformte metallene Gegenstände, aber auch Kabel oder Teile von Elektrogeräten und Gitterteile über einem Foto, das einer Momentaufnahme, einem Stillleben vom Schrottplatz gleicht, angebracht,teilweise mit Zement verdichtet und schlussendlich mit Farbe bearbeitet und übermalt. Die räumliche Wirkung der Arbeiten wird durch einzelne Elemente verstärkt, deren Zweidimensionalität scheinbar nahtlos in die Dreidimensionalität übergeht: Die aus der Fläche der Fotografie herauswachsenden Teile bekommen Konturen, sie werden plastisch. Durch das Spiel von Licht und Schatten steigert sich die Plastizität, die aufgeworfenen Metalllandschaften ergeben ein unruhiges, bewegtes Bild und dennoch entfalten sich die „compressions“ als harmonische Gesamtkompositionen, deren einzelne Fundstücke sich mit geheimnisvollem Leuchten zu einem neuen Ganzen verbinden.
Christian Einfalt bezeichnet sich als Jäger und Sammler: Wir sehen ihn vor uns, wie er zu Akademiezeiten Sonntag Frühmorgens suchend durch die sich lichtenden Nebelschwaden zwischen den Marktbuden am Wiener Naschmarkt wanderte und scheinbar wertlose Gegenstände sammelte, die einzig noch vom Treiben des Tags zuvor hier stattgefundenen Flohmarktes zeugten. Oder wie er heute Lagerplätze durchforstet, auf der Suche nach dem einen bestimmenden Fundstück, um das sich die Komposition fügen wird. Die Komprimierung von Recylingmaterial hat eine starke Präsenz und eine Aussage, die es für Einfalt gilt, weiterzuentwickeln. Jede Zeit bringt eine charakteristische Fülle an Gegenständen mit sich, ja, man kann fast sagen, jede Epoche hat ihren eigenen, ihr zuordenbaren Abfall. So finden sich in den „compressions“ jene Materialien verarbeitet, die Christian Einfalt im unmittelbaren zeitlichen Naheverhältnis auf der Straße und auf Lagerplätzen aufgespürt hat. Die Verwendung von Fundstücken aus Leichtmetallen wie Aluminium etwa, welches nach einem komplizierten Verfahren erst seit wenigen Jahrzehnten überhaupt hergestellt werden kann und als zur Gänze recyclebar gilt, bewirkt eine ambivalente Wahrnehmung: Die optisch wahrgenommene Schwere und ästhetische Dichte des Metalls steht im Widerspruch zu seiner realen Leichtigkeit, die Einfalt zusätzlich durch gezielte Bearbeitung betont. Zerrissen, gehämmert, zerdrückt und gedreht: Fundstücke, Teile eines ehemals Ganzen finden in den „compressions“ ihre Zusammenführung zu einem neuen, malerischen, abstrakten Ganzen, die Metallfläche wird zum Pinselstrich des Künstlers. Doch Christian Einfalt geht noch einen Schritt weiter: Die Assemblage wird zum Malgrund, bestimmende Farben und Formen scheinen hervorgehoben und verstärkt, Objekt und Bild korrespondieren miteinander.
Nach mehr als zwei Jahrzehnten der künstlerischen Zusammenarbeit mit Jürgen Ramacher als Künstlerduo Ramacher & Einfalt, stets geprägt vom gegenseitig befruchtenden Leitgedanken und nicht minder vom Spiel mit Gegensätzlichkeit und Körperlichkeit, schlägt Christian Einfalt neue Wege ein: Sein Alleingang findet Niederschlag in den Serien der „black paintings“ und der „compressions“, beide gleichermaßen verwurzelt in seiner Vergangenheit und zugleich ein Neubeginn. Geprägt ist Christian Einfalts Soloprojekt von einer Pendelbewegung zwischen einer philosophischen und einer kompositorischen Ebene und der Herausforderung, tiefgehende Gedanken und malerische Ästhetik zu verbinden – ein Schaffensprozess, der niemals zu Ende gehen kann, der eines jedoch bereits jetzt verdeutlicht: Entgegen unseres Wissens, dass sie vieles nicht zu schaffen imstande ist, erkennen wir in den Bildwelten Christian Einfalts, dass die Kunst eines sehr wohl kann: Einen philosophischen Gedanken auf den Punkt bringen.
Julia Schuster, Mai 2014